Entspannungspädagogik – ein Überblick
Allgemeine Fachtexte

Entspannungspädagogik

Ein Überblick, von Christiane Wettig und Andrea Bürger, BVEP

Entspannungspädagogik bezeichnet die Vermittlung und Förderung von Wissen, Können und Verhalten zum Erhalt und Aufbau der Entspannungsfähigkeit durch dafür ausgewiesene Fachkräfte.

Im Mittelpunkt der Arbeit in der Entspannungspädagogik steht der Mensch über die gesamte Lebensspanne und in allen seinen Lebensbereichen.

Ziele

Empowerment

Entspannungspädagogik möchte Menschen darin unterstützen, dass sie selbsttätig die eigene Gesundheit stärken und so die Fähigkeit und Möglichkeiten entwickeln, eigenverantwortlich für körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu sorgen. Erwachsene wie Kinder, mit und ohne Einschränkungen, sollen ermutigt werden, ihre eigenen Ressourcen zu nutzen, die vielfach verschüttet sind.

In diesem Sinne ermöglicht Entspannungspädagogik den Menschen Empowerment als Befähigung zur Teilhabe, selbst ihre Interessen zu vertreten, eigenverantwortlich für sich zu sorgen und selbstbestimmt zu leben. Es geht weg von einem Verständnis von Hilfe als Hilfe und Fürsorge für Schwächere hin zu Hilfe zur Selbsthilfe, zur Handlungsfähigkeit und zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit. [1]

Handlungsfähigkeit

Entspannungsfähigkeit im Rahmen des natürlichen Stressgeschehens ist eine Voraussetzung zum Erhalt der Handlungsfähigkeit des Menschen im biologischen (physisch-organischen), psychischen und sozialen System.

Entspannungspädagogik fördert somit die Entwicklung von Handlungskompetenz.

„Handlungskompetenz wird verstanden als die Fähigkeit des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht, durchdacht, sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“ [2]

Entspannungsfähigkeit als Selbstkompetenz

Ziel der Entspannungspädagogik ist die Entwicklung von Selbstkompetenz, die eigene Entspannungsfähigkeit selbsttätig zu entwickeln, zu fördern und zu erhalten.

Selbstwirksamkeit

Die Entspannungsfähigkeit ermöglicht einen verbesserten Umgang mit stressbehafteten Situationen und die Verarbeitung von belastenden Erfahrungen.

Der Mensch erlebt sich als handlungsfähiger und damit selbstwirksam.

 

Inhalte und Ansatz

Entspannungspädagogik zielt auf die Vermittlung und Förderung von Wissen, Können und Verhalten im Bereich Stress, Spannung und Entspannung durch das Aufzeigen von mentalen und körperorientierten Entspannungs-Wegen und Entspannungsmethoden.

Dabei verfolgt die Entspannungspädagogik wahlweise einen präventiven wie palliativ/regenerativen Ansatz und stützt sich auf drei Säulen:

  1. Säule: Methodenkompetenzen – das „Wie“

Entspannungspädagogik ist salutogenetisch (gesundheitsfördernd) orientiert und arbeitet auf der Basis körperlicher, sensomotorischer und mentaler Prozesse und deren Zusammenwirken:

  • Ganzheitlich
  • Erfahrungsorientiert
  • Bedürfnisorientiert
  • Ressourcenorientiert
  1. Säule: Fachkompetenz – das „Was“

Medizinisches und psychologisches Wissen über

  • Stressursachen
  • Stresserleben
  • Stressfolgen

sind elementare Bestandteile der Entspannungspädagogik, um einen eigenverantwortlichen Umgang mit Stress und seinen Konsequenzen zu ermöglichen.

  1. Säule: Selbstkompetenz – das „Wer“

Entwicklung von Kompetenzen zum Erkennen und Versorgen des eigenen Entspannungsbedarfs durch

  • Sensibilisierung – Hinwenden zum Spüren des eigenen Körpers
  • Eigenwahrnehmung – bewusstes Wahrnehmen der eigenen körperlichen Empfindungen, geistig-mentalen Vorgänge und seelischen Befindlichkeiten (in den eigenen inneren und äußeren Vorgängen)
  • Selbstverständnis – sich selbst verstehen in seinen körperlichen, seelischen, geistigen Bedürfnissen und Möglichkeiten

Pädagogische Haltung

Um im Sinne des Empowerments förderliche Rahmenbedingungen zu ermöglichen, ist die professionelle Haltung in der Entspannungspädagogik

  • Ressourcen- und kompetenzorientiert
  • Prozessorientiert
  • Zielorientiert
  • In positiver Erwartungshaltung (optimistisch)
  • Bereit zur gleichberechtigten Arbeitsbeziehung (auf Augenhöhe)
  • Bereit, Verantwortung und Kontrolle abzugeben, um den Klient*innen Selbstermächtigung auf individuelle Weise zu ermöglichen
  • Individuelle Ressourcen erkennend und verknüpfend

Leitprinzipien pädagogischen Handels

Lernen und Entwicklung verstehen:

  • Wissen, wie Kinder und Erwachsene lernen
  • Entwicklungsthemen verstehen: z.B. Autonomie, Persönlichkeit, Selbstwirksamkeit

Lehren arrangieren (didaktisches Handeln):

  • Entwicklungsstand und Ressourcen analysieren
  • Lernziele ermitteln, z.B. Entspannungsmethode zu erlernen oder Konzentrationsfähigkeit zu entwickeln
  • Lerninhalte auswählen, strukturieren und aufbereiten
  • Methoden auswählen

Kommunikation gestalten: z.B. Beratung des TN, in der Gruppe, zur Förderung von Lernprozessen, mit Fachkollege*innen

Rahmeneinflüsse mitgestalten: Ort, Zeit, Verlauf, Raum etc

Eigenes Handeln reflektieren: Selbst oder in der Supervision, u.a. um   Weiterbildungsbedarf erkennen

Erfahrungen nutzen und Theorien anwenden: Professionalität entwickeln, indem praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse verbunden werden. [3]

Handlungsfelder

Die Vielfalt der Methoden erlaubt der Entspannungspädagogik eine gezielte Arbeit in den Bereichen Achtsamkeit, Stressmanagement, Burnoutprophylaxe, Mentaltraining, Post- und LongCovid, Erschöpfungssyndrom u.a. unter Berücksichtigung der persönlichen, sozialen und beruflichen Lebenswelt des Menschen.

Anwendungsfelder und Setting

Entspannungspädagogik findet Anwendung in präventiven und rehabilitativen Arbeitsfeldern im Einzelsetting oder in Gruppen.

Präventiv findet sie Anwendung u.a. in Betrieben, Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Kindergärten und Schulen.

Rehabilitativ in stationären, teilstationären und ambulanten medizinischen, psychosozialen und geriatrischen Einrichtungen sowie in der Eingliederungs- und Behindertenhilfe.

Entspannungsmethoden

In der Entspannungspädagogik finden sich „klassische“ Entspannungsmethoden wie Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung u.a., bewegte Methoden wie Eutonie, QiGong, Yoga, konzentrative Methoden wie Meditation, sinnorientierte Methoden wie der Klang, Atementspannung, imaginative Methoden und vieles mehr.

Wirksamkeitsstudien

Laut Leitfaden Prävention in der Fassung vom 27. März 2023 existieren mehrere Entspannungsverfahren, die sich in der Praxis bewährt haben und deren Wirksamkeit empirisch belegt ist

  • Progressive Relaxation (PR) nach Edmund Jacobson
  • Autogenes Training (AT) – Grundstufe – nach Johannes-Heinrich Schultz
  • Hatha-Yoga
  • Tai-Chi
  • Qigong

Ein Verweis auf entsprechende Studien findet sich ebenda. [4]

[1] nach Sven Brandes, Wolfgang Stark, S. 63 Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention, 2016, WHO 1986

[2] Kultusministerkonferenz (KMK), 5. Februar 1999)

[3] nach Mandl/Kopp, Selbstgesteuertes Lernen, (S. 117)

[4] Leitfaden Prävention in der Fassung vom 27. März 2023;
Petermann, F. (Hrsg.) (2020). Entspannungsverfahren Praxishandbuch (6. Aufl.). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Linden, W. & L. Chambers (1994). Clinical Effecti­veness of Non-Drug Treatment for Hypertension: A Meta-Analysis. Annals of Behavior Medicine, 16(1), S. 35–45. Stetter, F. & S. Kupper (2002). Autogenic Training: A Meta-Analysis of Clinical Outcome Studies. Applied Psychophy­siology and Biofeedback, 27, S. 45–98. Singh Khalsa, S. B., T. McCall, L. Cohen & S. Telles (2016). Principles and Practice of Yoga in Health Care. Handspring Publishing.